Kunst aus der Perspektive der Schüler sehen: FOS-Schüler auf Praxisführung im Neuen Museum in Nürnberg

Schon das Museumsgebäude nach einem Entwurf des Architekten Volker Staab mit seiner 100 m langen Glasfassade beeindruckt die Klasse der FOS Weißenburg. Und der zentrale Slogan, ein integriertes Statement als ein künstlerischer Beitrag des Schweizers Rémy Zaugg, der an der Hauptfassade prangt und dem Betrachter fast als Duellant gegenübertritt, fordert die Schüler zur Reflexion und kontroversen Diskussionsbeiträgen heraus. „Aber Ich / Die Welt / Ich sehe Dich“ lautet dieser Slogan, ein Leitmotiv der Führung, bei der zwei Museumpädagogen die Klasse bei ihrer Exkursion durch das Neue Museum begleiten, anregen und manchmal auch bewusst provozieren – im positiven Sinne. Das Besondere des Konzepts: Im Anschluss an eine gemeinsame Basisführung in zwei Gruppen setzen sich die Schüler durch einen fast dreiviertelstündigen Praxisteil selbst mit Exponaten der ausgestellten Kunst auseinander, mit Zeichenfaltblock und Bleistiften, je nach Gruppe mit den Themenschwerpunkten Räume/Architektur oder mit Dingen/Gegenständen. Ein Abenteuer, das die Klasse begeistert, denn alle begreifen beim Zeichnen, dass das Sehen der Welt alles ist, nur nicht objektiv. „Wahnsinn, wie haben dreimal die gleiche Industrielampe gezeichnet“, fasst ein Schüler zusammen, „haben alle das Gleiche gesehen, aber jeder hat eine andere Perspektive gezeichnet, eine andere Sichtweise kreiert!“. Exkursionsinitiator OStR Emmerich Thürmer schmunzelt neidisch: „Wenn nur im klassischen Unterricht bei mir ähnliche Reaktionen erzielt werden könnten“.

Im letzten Teil des Besuchsrundganges erkunden die Klassen dann selbstständig Ausstellungsräume, die sie interessieren bzw. aktuelle Sonderausstellungsflächen, wobei die Teilnehmer, im Schnitt zwischen 16 und 19 Jahre alt, natürlich extrem fasziniert gewesen sind von der auch in der Öffentlichkeit sehr kontrovers bewerteten Installation „Fucko­sophy“ der beiden Briten Gilbert & George, ein Künstlerduo, das als ein Aushängeschild der britischen Kunst gilt. Beide sind 1986 mit dem renommierten Turner Prize ausgezeichnet worden und präsentieren in Nürnberg unter anderem auf zwei Wänden in hundertfachen Varianten eine schwarz und rot bedruckte Tapete mit dem bösem F…-Wort. Für Gilbert & George ist diese Schimpf­tirade ein „great experiment in literature“. Für die Künstler bedeutet „Fucko­sophy“ eine „Art von Utopie, wo du alles sagen kannst, was du willst.“ Die Schülergruppe ist vom Konzept begeistert: „So viele F-Wort-Varianten!“.

Ebenso als „voll krasse Kunst“ wird die Skulptur „Give Us, Dear“ von Böhler & Orendt empfunden, die Installation eines übergroßen, liegenden Gorillakörpers, an dem sich rund 500 kleine anthropomorphe Parasiten zu schaffen machen, um verschiedene „Rohstoffe“ zu gewinnen. Blut wird abgepumpt, Zähne und Schleim, Haut und Haare werden abtransportiert. Eine detailversessene Darstellung makabrer Drastik, die selbst an drastische Bilder gewöhnte Schüler berührt und zum Diskurs antreibt …

Am Ende kritisiert die Klasse nur eines und schockiert damit ihren Lehrer: Fast zwei Drittel „hätte gerne noch etwas mehr Zeit im Neuen Museum zugebracht!“ Eine Kritik, mit der Pädagoge Emmerich Thürmer sehr gut leben kann und die er mit dem Hinweis kontert, dass er das „zukünftig berücksichtigen“ werde, jetzt aber das Mittagessen im nahegelegenen Burger-Restaurant vorbestellt sei. Womit wiederum die Schüler leben konnten …

Im Bild: Die Schüler/innen der Klasse S11a im Neuen Museum Nürnberg